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DOI: 10.1055/a-2542-6969
Kommentar zu: Lumbale Bandscheibenchirurgie: Maschinenlernen sagt Operationserfolg voraus

Der Erfolg einer Operation hängt – neben einer technisch einwandfreien und gewebeschonenden Durchführung – von zahlreichen zusätzlichen Faktoren ab. Daher ist es für den behandelnden Arzt schwer abzuschätzen, ob durch einen empfohlenen Eingriff auch ein langfristig gewünschtes Behandlungsergebnis erzielt werden kann. Vor diesem Hintergrund gewinnen KI-basierte prädiktive Modelle zunehmend an Bedeutung. Mit diesen können komplexe Patientenkonstellationen automatisiert analysiert werden, sodass Therapieentscheidungen individualisierter und für den Patienten besser nachvollziehbar werden.
Eine aktuelle, im JAMA Network Open veröffentlichte Studie von Berg et al., setzt hier einen wichtigen Impuls. Die Autoren analysierten über 22.000 lumbale Bandscheibenoperationen aus dem norwegischen Wirbelsäulenregister (NORspine) und entwickelten mithilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) ein Modell, das den Operationserfolg – gemessen an Funktion (ODI) und Schmerzreduktion (NAS) – mit hoher Genauigkeit vorhersagen kann. Im Vergleich zu früheren Studien mit kleineren Fallzahlen schnitt das neue Modell deutlich besser ab [1] [2] [3] [4]. Es gelang den Forschern, für die Vorhersage der funktionellen Verbesserung AUC-Werte von über 0,80 zu erreichen – ein Wert, der für ein klinisches Prognosemodell als ausgesprochen gut gilt.
Die Studie von Berg et al. überzeugt vor allem durch ihre sorgfältige Methodik. So wurde das Modell nicht nur an einem Zentrum getestet, sondern multizentrisch in verschiedenen Regionen Norwegens – ein Vorgehen, das die Aussagekraft der Methode deutlich erhöht. Fehlende Daten wurden methodisch sauber ergänzt. Durch SHAP-Analysen konnte genau nachvollzogen werden, welche Faktoren den größten Einfluss auf das Operationsergebnis haben. Besonders wichtig für eine gute Prognose waren unter anderem ein hoher Ausgangswert beim ODI, eine kurze Symptomdauer, keine Voroperationen sowie niedrige Werte bei Angst-und Depressions-Scores. Dies unterstreicht noch einmal, welchen wichtigen Einfluss psychosoziale Faktoren auf ein operatives Ergebnis haben – ein Aspekt, der im Alltag oft unterschätzt wird.
Berg et al. liefert mit dieser umfangreichen Arbeit ein hervorragendes Beispiel dafür, wie KI-basierte Modelle helfen können, Therapieempfehlungen besser auf die individuellen Gegenheiten unserer Patienten abzustimmen. So wäre es in Zukunft denkbar, dass solche Algorithmen nicht nur vorhersagen, ob eine Operation sinnvoll ist – sondern auch, welche Art der Operation für einen bestimmten Patienten die besten Aussichten bietet. Etwa, ob bei einem Rezidivprolaps eher eine mikroskopische oder eine endoskopische Technik vorzuziehen ist. Auch Risikopatienten – beispielsweise mit Adipositas, Immunsuppression oder kardio-pulmonalen Begleiterkrankungen – könnten so individueller und sicherer beraten werden. Derartige Ansätze könnten langfristig helfen, Komplikationen zu vermeiden und die Patientenzufriedenheit zu steigern.
Noch handelt es sich um ein frühes Stadium der klinischen Anwendung KI-basierter Algorithmen. Eine Validierung der Ergebnisse außerhalb Norwegens steht noch aus und bildgebende oder labormedizinische Daten wurden bisher nicht in das Modell einbezogen. Hier wäre es wünschenswert, multimodale Modelle zu entwickeln, die verschiedene Datenquellen kombinieren. Erste Arbeiten – etwa zur Kombination von KI mit Raman-Spektroskopie bei der Tumorerkennung – zeigen, dass solche Konzepte realisierbar sind [5].
Ein weiterer sinnvoller Schritt wäre die Integration von Patient-Reported Outcome Measures (PROMs) in solche Modelle, um die Vorhersagekraft weiter zu verbessern. Wir brauchen prospektive Studien, die klären, ob der Einsatz solcher Modelle in der Praxis tatsächlich zu besseren Ergebnissen führt – etwa, weil unnötige Eingriffe vermieden oder frühzeitig alternative Therapien empfohlen werden.
Die Arbeit von Berg et al. ist aktuell eine der überzeugendsten Studien zum Einsatz von Künstlicher Intelligenz in der Wirbelsäulenchirurgie. Sie zeigt, wie sich große Datenmengen sinnvoll nutzen lassen, um Prognosen besser abschätzen zu können und die individuelle Versorgung weiterzuentwickeln. Auch wenn KI nicht die ärztliche Entscheidung ersetzen darf, kann sie uns als wertvolle Entscheidungshilfe dienen – besonders bei komplexen Patienten oder schwierigen Grenzindikationen.
Publication History
Article published online:
04 August 2025
© 2025. Thieme. All rights reserved.
Georg Thieme Verlag KG
Oswald-Hesse-Straße 50, 70469 Stuttgart, Germany
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Literatur
- 1 Staartjes VE, Schröder ML. Deep learning-based preoperative predictive analytics for patient-reported outcomes following lumbar discectomy: feasibility of center-specific modeling. J Neurosurg Spine 2019; 31: 568-574
- 2 Halicka M, Minarikova D, Theis JC. et al. Predicting patient-reported outcomes following lumbar spine surgery: development and external validation of multivariable prediction models. BMC Musculoskelet Disord 2023; 24: 173
- 3 Ghanem A, Labrom RD, Walter CM. et al. Limitations in evaluating machine learning models for imbalanced binary outcome classification in spine surgery: a systematic review. Brain Sci 2023; 13: 1723
- 4 Wirries N, Herlyn P, Schmieder K. et al. Implications of preoperative depression for lumbar spine surgery outcomes. JAMA Netw Open 2022; 5: e2251821
- 5 Wurm LM, Fischer B, Neuschmelting V. et al. Rapid, label-free classification of glioblastoma differentiation status combining confocal Raman spectroscopy and machine learning. Analyst 2023; 148: 6109-6119